Chirurg*innen mit 3D-Brille

Virtual Reality in der Chirurgie, Foto: Shutterstock

Wer in den Operationssaal gerollt wird, baut auf die Erfahrung, Kunstfertigkeit und höchste Konzentration der Chirurg*innen. Hightech-Medizintechnik möchte diese Könner*innenschaft unterstützen. Etwa durch patient*innenspezifische 3D-Modelle und hochentwickelte Computersimulationen bis hin zum 3D-Druck.



ImgUniv.-Prof. Dr. Andreas Gruber mag „langweilige“ Operationen. „Wenn es spannend wird, heißt das, dass man sich als Chirurg*in etwas trauen muss. Dies birgt immer auch ein Risiko.“ Gruber ist Leiter der Universitätsklinik für Neurochirurgie am Kepler Universitätsklinikum Linz und Professor für Neurochirurgie an der medizinischen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz. „Die richtige Planung hingegen minimiert Unsicherheiten und damit ein potenzielles Wagnis“, erklärt er. „Sie ist entscheidend.“ Eine der großen Umwälzungen unserer Zeit erleichtert sie ihm: die 3D-Technologie. „3D-Modelle geben uns heute sehr genaue Einblicke in die spezielle Anatomie eines*einer Patient*in.“ Immerhin sei jedes Gehirn anders. Chirurg*innen müssten zudem mit angeborenen Anomalien umgehen können. Solche, die vielleicht nur ein Promille der Menschen aufweisen.

Brigitte Bolech ist so jemand. Das Leben der in Eisenstadt lebenden Kärntnerin war nach einer MRT-Untersuchung unerwartet aus den Fugen geraten. „Man hat in meinem Gehirn ein so großes und komplexes Aneurysma entdeckt, dass man mich sofort auf die Intensivstation legte“, erzählt die 63-Jährige. „Ich war zutiefst schockiert.“ Innerhalb von sechs Wochen sollte sie sich operieren lassen. „Die Vorstellung, dass man mir den Kopf aufmacht, war mir total unheimlich.“

Dennoch verlor sie keine Zeit. Unterstützt von ihrer Tochter suchte sie nach einem*einer Spezialist*in, recherchierte, informierte sich. Sogar das Video einer vergleichbaren Operation sah sie sich an. „Vermutlich will ich alles so genau wissen, weil ich im Gesundheitsbereich arbeite“, meint die Präsidentin einer außeruniversitären Forschungseinrichtung, die mittels Messung von Veränderungen der Herzschlagfolge die Auswirkungen physischer und psychischer Einflüsse auf das Nervensystem untersucht. „Ich machte mir also keine Illusionen, doch ein Gespräch mit Professor Gruber gab mir Vertrauen. Als ich mich schließlich in Linz operieren ließ, war ich ruhig.“

Etwas mehr als zwei Jahre ist das her. „Seitdem wache ich jeden Tag mit einem überwältigenden Gefühl der Dankbarkeit auf“, schildert Bolech. „Ich kann kaum ausdrücken, wie gewaltig diese Erfahrung war und welchen Respekt ich vor der Leistung dieses Chirurgen und seines Teams habe.“ Nach 14 Tagen konnte sie das Spital verlassen, es blieben keinerlei Schäden zurück. Letztendlich war der Zufallsbefund ihr Glück.

ImgEin Aneurysma ist eine krankhafte Aussackung einer Gefäßwand. Platzt es, sterben 50 Prozent der Betroffenen vor Eintreffen des*der Ärzt*in. „Von der anderen Hälfte verstirbt ein Drittel im Spital, ein weiteres Drittel überlebt mit Behinderungen, und ein Drittel wird wieder gesund“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Gruber. „Demgegenüber liegt die Komplikationsrate bei einer geplanten Operation bei etwa einem Prozent pro Millimeter Aneurysma.“

Nichtsdestoweniger war der Eingriff bei Brigitte Bolech hochkompliziert. Dass er für Gruber trotzdem nicht in die Kategorie „spannend“ fiel, lag daran, dass er anhand ihrer 3D-Daten Eins zu Eins wusste, wie die atypischen Gegebenheiten aussahen, die er antreffen würde. Und nicht nur das. „Unsere Software ermöglichte es, dass ich diese Operation vorher wie in einem Flugsimulator bis ins letzte Detail durchproben konnte. An einem dreidimensionalen Modell, das sich im Raum drehen lässt, genau so, wie man den Kopf später tatsächlich vor sich liegen hat. Dabei lässt sich der individuelle chirurgische Zugang, bei dem es ja um Millimeter geht, außerordentlich präzise bestimmen.“

Mit den daraus fortkommenden Neuerungen – künftig etwa der Verknüpfung mit 3D-gedruckten Gewebsteilen und virtuell erzeugten 3D-Darstellungen – gehe es mit Siebenmeilenstiefeln voran, sagt Gruber. Auch zusätzliche haptische Feedbacks des Computers sollen die Wirklichkeitsnähe steigern. Mit der 3D-Brille vor Augen und echten Instrumenten in den Händen fühle es sich dann so an wie bei der realen Operation.

All diese Features böten eine immer bessere fallspezifische Vorbereitung des Spezialisten, aber auch Trainingsoptionen für angehende Chirurg*innen. Und noch ein Vorteil: „Komplexe Aneurysmen verschließt man mit einem Clip. Durch so eine Simulation lässt sich in der Fülle der Variationen schon im Vorhinein die richtige Form finden.“ Vor 20 Jahren hätte der Eingriff bei Frau Bolech vielleicht eine 15-prozentige Erfolgsrate gehabt, heute liege sie bei gut 95 Prozent, veranschaulicht er den Fortschritt.

„Viele Menschen wünschen sich schonendere Operationsverfahren und sprechen das auch an“, berichtet auch Univ.-Prof. Dr. Andreas Zierer. Wie sein Kollege Gruber ist er als forschender Chirurg und Professor an der Medizinischen Fakultät der JKU Linz laufend in die Einführung neuer Entwicklungen in die Praxis eingebunden. Zierer ist Vorstand der Universitätsklinik für Herz-, Gefäß- und Thoraxchirurgie am Kepler Universitätsklinikum Linz.

Im Operationssaal trägt er oft eine 3D-Brille. „Man braucht sie bei minimal invasiven Eingriffen, und die sind das große Thema in der modernen Herzchirurgie.“ Durch kleine Einschnitte steckt er dabei eine winzige 3D-Videokamera in den Brustkorb des*der Patient*in. Während er mit langen Instrumenten behutsam im Inneren des Herzens arbeitet, schaut er auf einen Bildschirm. Dort sieht er den Operationsbereich im Körperinneren nicht nur gestochen scharf, sondern auch stark vergrößert. So entgeht ihm nicht die kleinste Struktur. „Anfangs ist es für Chirurg*innen natürlich eine Umstellung, die Hände woanders zu haben als den Blick“, erzählt er. „Aber man lernt das, und die Vorteile sind riesig.“ Und es bewegt sich viel in diesem Bereich: Herzklappenoperationen etwa seien auf diese Weise noch nicht so lange möglich. Nun wende man die minimal invasive Technik schon bei der Mitralklappe an. Sie ist eine der vier Herzklappen und gilt als „Einlassventil“ zwischen dem linken Vorhof und der linken Herzkammer. „Und auch bei der Aortenklappe beginnt man damit.“ Die Aortenklappe wird umgangssprachlich als „Ausgangsklappe“ der linken Kammer zur Aorta bezeichnet. Dass so ein Eingriff ohne Herz-Lungen-Maschine, also am schlagenden Herzen erfolgen könne, mache ihn wesentlich schonender, ergänzt Zierer.

Vor zwei Jahren hat er am Klinikum Wels-Grieskirchen sogar erstmals zwei Herzklappen gleichzeitig minimal invasiv operiert. „Wir haben das weltweit als Erste beschrieben“, hebt der Chirurg die Vorreiterrolle des Forschungsstandorts Oberösterreich hervor. Eine Brücke in die Zukunft sehe er auch für sein Fach im 3D-Druck. Grundlage ist die dreidimensionale Bildberechnung, etwa von Daten aus der Computertomografie (CT). Die spiele zum Beispiel bei so genannten Aortenstents eine Rolle. Das sind Gefäßprothesen, die man bei Aneurysmen, Einrissen oder Verengungen der Hauptschlagader einsetzt und damit den betroffenen Bereich abdichtet.

„In komplizierten Fällen muss man sogar die ganze Körperschlagader von oben bis zu den Abgängen in die Bauchhöhle ersetzen“, so Zierer. „Mit den dreidimensionalen CT-Daten kann man sich diese im 3D-Drucker so vorfertigen, dass sie genau an der richtigen Stelle die richtigen Gefäßabgänge in der richtigen Größe hat. Das ist eine echte Innovation.“ Angreifbare wirklichkeitsgetreue Modelle aus dem 3D-Drucker seien eine große Hilfe bei der Operationsplanung, weil man damit die problematische Stelle praktisch in Händen halte und von allen Seiten studieren könne. Mit seinen 45 Jahren sei er ja nicht steinalt, schmunzelt Zierer. „Aber: Als ich begonnen habe, war die Herzchirurgie eine komplett andere Welt. Vieles, was heute Routine ist, hat es damals noch gar nicht gegeben.“

Dieser Artikel erschien im Original in „Kepler Tribune - Wissen in Gesellschaft“, dem Periodikum der Johannes Kepler Universität Linz, Ausgabe 03/2019.

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Über die Autorin

ImgDie Autorin dieses Artikels, Uschi Sorz, ist freie Journalistin in Wien. Sie schreibt regelmäßig für das Ressort „Wissen & Innovation“ der Tageszeitung „Die Presse“ und für das Wissenschaftsmagazin „Heureka“ des „Falter“.

Fotos auf dieser Seite: Shutterstock (1, 3), Elisabeth Mandl (2), Uschi Sorz (4).